Muster im Stress

Es ging hoch her in der Lehrersitzung. Auslöser war das Problem, dass ein Schüler  in der Pause mit provokantem Verhalten und Regelverstössen eine belastende Situation erzeugte, die sich schwer händeln liess. Die aufsichtsführende Lehrerin beschloss, das in der Lehrersitzung zur Sprache zu bringen. Jede Aufsichtsperson handelte bis dato im Umgang des Schülers anders: Die einen machten Zugeständnisse, er konnte dann machen, was er wollte. Die anderen pochten auf die Einhaltung der gültigen Regeln, was dieser Schüler nicht wollte. Also gab es Ärger. 

So könne es nicht weitergehen, fand diese Lehrerin. Es musste eine einheitliche Regelung und Reaktion her. Dieser Schüler brauche eine verlässlichere Struktur.

Das war gut beobachtet von der Lehrerin. Wer nun erwartet, dass sich die Lehrerrunde zusammen ruhig und professionell auf Massnahmen geeinigt hätte, um diese Struktur herzustellen, irrt: Sie begannen zu streiten!

Die einen fanden, es müssen starke Strafen eingeführt werden, harte Konsequenzen etc., sonst lerne er nicht, sich anzupassen.
Andere fanden, das könnten sie nicht durchsetzen, das überfordere sie. Jemand anderes müsse sich um diesen Schüler kümmern, wenn sie Aufsicht hätten. Mehr Personal müsse her! Die Schulleitung müsse sofort etwas tun!
Die dritte Gruppe fand, dass es nicht die Schuld des Schülers wäre. Wenn die aufsichtsführenden Lehrer sich einfühlsamer und verständnisvoller auf den Schüler einlassen würden, würde das Verhalten aufhören. Das Verhalten des Schülers wäre also eine Reaktion auf das falsche Verhalten der anderen Lehrpersonen.

Nun wäre das zunächst eine lustige Episode aus dem Alltag einer Schule, doch wenn man den Blick schweifen lässt in andere Schulen, Wohngruppen etc., stellt man fest: Da gibt es ein Muster dahinter! In anderen Teams findet sich derselbe Konflikt und es findet sich meist auch diese seltsame Gruppenbildung. Dabei ist es egal ob das Lehrer, Sozialpädagogen oder Laien sind. Die Gruppen fallen immer ähnlich aus. Wieso weicht das Ideal des gemeinsamen, professionellen pädagogischen Handelns im Umgang mit provozierendem Verhalten dieser wenig hilfreichen Gruppenbildung?

Die Ursache für dieses Phänomen findet sich natürlich im Gehirn: Es ist die Tatsache, dass das Verhalten des Jugendlichen das Angstzentrum in den Gehirnen der Betreuungspersonen aktiviert hat. Die Amygdala. Wie schon erwähnt, ist die Amygdala nicht gerade ein guter Ratgeber, denn sie kennt nur drei Verhaltensoptionen: Kämpfen, Fliehen oder Totstellen. Um das zu unterstützen, schüttet sie Stresshormone aus.

Nachdem die Stressreaktion bereits angelaufen ist kommt mit einiger Verspätung der präfrontale Kortex dazu: Er interpretiert die Situation auf der Basis der jetzt bestehenden Gefühlslage und versucht, eine sozial akzeptable Handlungsoption zu finden. Es wäre schwierig, wenn eine Lehrperson in solch einer Situation tatsächlich kämpfen oder fliehen würde. Totstellen wäre auf dem Pausenplatz auch irgendwie deplatziert.

Nun wirken Verhaltensmuster, die dazu da sind, den starken Gefühlen, die eine gestresste Amygdala auslöst, ein Ventil zu verschaffen. Anders herum: Das Gehirn befindet sich im Stressmodus. Das schlechte Gefühl braucht eine Lösung oder wenigstens ein Ventil, an dem es sich entladen kann.

Was passiert also in dem vorher beschriebenen Team, dass sich streitet? Christoph Göttl (2015) beschreibt, wie die meisten Teammitglieder aufgrund dieses Einflusses der Amygdala dazu neigen werden, in einem der drei folgenden Muster zu reagieren:

  • Täter: Nach vorn gerichtet, aggressiv, herausfordernd («Das werde ich nicht durchgehen lassen», «Das muss harte Konsequenzen geben», etc.). Entscheidend ist der Zorn, den eine Person verspürt. Der Zorn identifiziert den Täterstatus. Die Amygdala signalisiert «Kämpfen».
  • Opfer: Rückzug, Flucht. («Ich kann mit dem nicht arbeiten», «Den können wir bei uns nicht haben», «was wird mir hier zugemutet? », etc.). Der Opferstatus resultiert aus Angst, die Angst aktiviert in diesem Fall einen Flucht- oder Abwehrreflex. Die Amygdala signalisiert «Fliehen».
  • Pseudohelfer: Verharmlosen, übertriebenes Verständnis («Bei mir gibt es keine Probleme», «Ich verstehe diesen Jugendlichen als einziger», «so sind die Männer halt», etc.). Die Situation wird ausgeblendet, wichtiger ist es der Person, sich selbst emotional zu stabilisieren. Wenn dann doch ein Problem zum Vorschein kommt, wird es auf dem schnellst möglichen Weg wieder unter den Teppich gekehrt. Die Amygdala signalisiert «Totstellen».

Eine ausgewogene, neutrale Reaktion und Bewertung der Situation ist natürlich auch denkbar, doch für viele Teammitglieder wird dies nicht von Anfang an möglich sein: Die Voraussetzung dafür wäre, dass die Amygdala nicht aktiv ist. Wer keine Angst hat, braucht auch keine Angstreaktion. Für alle anderen gilt es nun, sich mit der Angst auseinanderzusetzen.

Auffälliges, provokantes Verhalten hat oft seinen Ursprung in den Bedürfnissen der Person, die es zeigt. Oft geht es um eigene Emotionen um eigenen Stress, eine Person versucht sich durch das Verhalten emotional zu stabilisieren. Auffälliges Verhalten ist in dieser Interpretation ein selbstbezogenes Verhalten. Es geht nicht um uns, es geht um das, was das Verhalten für die-/ denjenigen die/ der es zeigt, für eine Wirkung hat.

Täter, Opfer und Pseudohelfer interpretieren das Verhalten aber als bedrohlich und beziehen es damit auf sich.  Natürlich bezieht ein Mensch eine Bedrohung auf sich. Denken Sie an eine Gefahrensituation in der Natur: Ein Grizzlybär steht vor Ihnen! Das nicht auf sich selbst zu beziehen wäre im Ernstfall lebensverkürzend. Jetzt gibt es aber keinen Grizzlybären. Nur eine Amygdala, die noch nicht gelernt hat, zwischen Grizzlybären und verhaltensauffälligen Jugendlichen zu unterscheiden.

In dem Moment, in dem ein solches Muster beginnt, zu arbeiten, ist der Weg für andere Optionen versperrt. Die Interpretation des Angriffs wird vom Grosshirn übernommen und die Reaktion darauf wird das weitere Verhalten bestimmen. Das Ziel dabei ist aus der Sicht des Gehirns: Kohärenz herstellen. Ordnung und Ruhe herstellen.

Wenn diese Haltung oder die daraus folgenden konkreten Massnahmen nicht weiterhelfen, dann gibt es in der Logik des Gehirns folgenden Plan: «Mehr vom Gleichen». Die Inkohärenz ist noch nicht behoben. Das Muster zu wechseln ist in der angespannten Situation nicht mehr möglich. Die Wahrnehmung von anderen Optionen ist durch die aktive Amygdala stark eingeschränkt. Also bleibt nur noch, das bereits gewählte Muster stärker anzuwenden. Vielleicht hilft es ja dann aus der Inkohärenz heraus.

Das ist – etwas vereinfacht – die Situation, die zu Eskalationen führen kann: Eine Beziehung zwischen Schüler und Lehrer gerät ausser Kontrolle, ein Jugendlicher lässt sich absolut nichts sagen, jemand ritzt sich in Belastungssituationen in den Arm – es gibt viele Probleme im pädagogischen Alltag. Daraus neue Wege heraus zu finden, beginnt mit der Suche nach dem Muster, nach dem all das funktioniert. Die Bedürfnisse und Muster der Beteiligten zu kennen ist gewinnbringend.

Was heisst das für den Alltag?

  • Das Muster war schon immer da, Menschen haben meist mehrere und es wird sie ihr Leben lang begleiten. Sie können es sich bewusstmachen und sie können ihm noch ein paar andere Muster zur Seite stellen. Dann ist es nicht mehr so alleine.
  • Manche Menschen werden leugnen, dass Sie ein Muster haben. Das verzögert die Auseinandersetzung mit dem Muster, denn es ist trotzdem da.
  • Wenn die Meisten, die an einem Konflikt beteiligt sind, auf drei Arten reagieren, ist der Weg frei für eine neue Offenheit: Wir können uns über den Weg unterhalten, den unsere Muster uns vorgeben. Wir können den Stress thematisieren und das, was eine Situation in uns auslöst. Das wäre eine neue Ebene der Reflexionskompetenz.

Glucocorticoide – Der Langzeitstress

Zu einem Stressereignis gehört eine akute Phase, bei dem zunächst Adrenalin und Noradrenalin zusammen die Energie für die Reaktion auf ein angstauslösendes Ereignis bündeln. Zu diesem Zeitpunkt wird der Appetit gedämpft, denn Essen gehört zu den Dingen, die man nicht braucht, wenn man um sein Leben kämpft. Die erforderlichen Nährstoffe werden direkt aus den körpereigenen Vorräten entnommen.

Adrenalin und Noradrenalin haben eine kurze Lebensdauer, wenn weiterhin Gefahr droht, die Aufmerksamkeit weiter hoch sein muss, übernimmt Cortisol die Steuerung der Energieversorgung. Das ist im Blutkreislauf zunächst einmal etwas ganz Normales. Es kommt den ganzen Tag über in einer gewissen Konzentration im Blut vor.

Glucocorticoide haben eine wichtige Rolle bei der Aufgabe, den ganzen Tag genügend Energie für alle Muskeln und andere Zellen zur Verfügung zu stellen. Sie können den Anteil an Glucose, Aminosären und Fett im Blutkreislauf beeinflussen. Die Körperzellen bedienen sich an den Nährstoffen aus dem Blut, wenn sie sie brauchen. Wenn die Nährstoffe im Blut weniger werden, können Glucocorticoide an verschiedenen Vorratslagern im Körper Nachschub anfordern. Ist der Anteil an Glucocorticoiden im Blut niedrig, werden wenig Nährstoffe ins Blut gegeben. Ist er dagegen hoch, heisst das, dass mehr Energie benötigt wird. Nährstoffe werden aus dem Vorrat oder direkt aus der Verdauung ins Blut freigegeben. Am Morgen, wenn wir aufstehen, steigt unser Cortisol Spiegel im Blut an, um unseren Körper die Energie für den neuen Tag vorzubereiten. So haben wir den ganzen Tag über eine «gute» Menge an Cortisol im Blut, weil wir sie brauchen.

Stress kann den Anteil an Cortisol im Blut kräftig erhöhen. Die Amygdala signalisiert: «Erhöhe die Energie in allen Muskeln und schalte alle überflüssige Energieverbraucher ab: Wir müssen allzeit bereit sein, zu kämpfen oder zu fliehen».

Aus der Perspektive der Evolution ist dieser Zusammenhang der beiden Hormone sinnvoll: Wenn Sie gerade vor einem Löwen geflüchtet sind und sich nun gerade ausserhalb der akuten Gefahr befinden, ist immer noch erhöhte Wachsamkeit nötig. Der Löwe ist noch in der Nähe! Also muss eine hohe Energiemenge verfügbar sein, für eine mögliche Fortsetzung der Flucht. In einer solchen Pause auf der Flucht ist es für das Überleben sinnvoll, noch schnell Nahrung zu sich zu nehmen, den Muskeln eine kurze Verschnaufpause zu gönnen und dennoch äusserst wachsam zu sein. Während sich die Situation mit dem Löwen hoffentlich bald entschärft, ist das im Zusammenhang mit heutigem Stress nicht der Fall: Manche Menschen leben emotional in einer vergleichbaren Situation, nur dass der Löwe niemals weggeht. Eine langanhaltende Stresssituation entsteht.

Es ist hilfreich, wenn man im Umgang mit anderen Menschen die Symptome eines erhöhten Cortisolspiegels erkennen kann. Es kann uns helfen, Verhalten von Menschen besser zu verstehen, wenn wir solche Hinweise zu lesen lernen.

Wie kann man die Wirkung des Cortisols erkennen?

Essen und Stress

Um schnell Energie zu mobilisieren, können Glucocorticoide Glucose aus den Vorräten der Körperzellen lösen. Sie können das Hormon Insulin in seiner Arbeit hemmen, das dafür zuständig ist, Vorräte an Nährstoffen in die Körperzellen einzulagern. Der Anteil an Nährstoffen im Blut ist dadurch sehr hoch und das Energieniveau im Körper, speziell in der Muskulatur, ist ebenfalls hoch. Im Gegensatz zu Adrenalin dämpfen Glucocorticoide den Appetit nicht. Im Gegenteil, sie signalisieren dem Gehirn: «Suche nach kalorienreicher Nahrung!» Hunger entsteht, die Aufmerksamkeit wird darauf ausgerichtet, Nahrung zu finden. Vor allem Schokolade und fettreiche Snacks stehen auf der Wunschliste der Glucocorticoide ganz oben. Mit den zusätzlichen Nährstoffen im Blut ist nun wirklich sichergestellt, dass weiterhin genug Energie für eine Flucht oder einen bevorstehenden Kampf bereit ist. Wenn genügend Energie im Kreislauf ist, kann es nicht schaden, wieder etwas davon einzulagern, also etwas Fettgewebe anzulegen, während der Energiegehalt im Blut aber weiterhin hoch gehalten wird.

Stress mobilisiert gespeicherte Energie



Es gibt in der Folge davon folgenden Zusammenhang (nach Sapolsky, 2004, S.89): Erlebt eine Person Stress in der Form, dass häufig und wiederkehrend immer aufs Neue Adrenalin ausgestossen wird, wird diese Person tendenziell an Gewicht verlieren, weil Adrenalin den Appetit dämpft. Die Person wird aufgrund der Stressreaktion nicht genügend essen.
Erlebt eine Person Stress, der einen Adrenalinausstoss zur Folge hat, das Stressereignis danach aber über längere Zeit andauert, wird die Person dazu neigen, hochkalorische Nahrung zu essen. Sie wird tendenziell an Gewicht zulegen. Langanhaltender Stress macht Appetit auf Schokolade und Chips.
So einfach ist das im realen Leben oft nicht. Es gibt noch einige andere Faktoren, die auf den Appetit Einfluss nehmen. Es ist nur ein Hinweis auf Stress, mehr nicht.

Immunsystem und Stress

Cortisol ist verantwortlich für ein Phänomen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer sicher kennen: In der Schulzeit, vor allem unter Stress, funktionieren sie sehr gut und wünschen sich irgendwann sehnlichst die Ferien herbei. Sie fühlen sich erschöpft. Schon am ersten Ferientag allerdings werden sie krank. Das ist ein Phänomen, für das es erst seit einigen Jahren eine schlüssige Erklärung gibt: Im akuten Stress wird das Immunsystem zunächst hochgefahren. Die Abwehrfähigkeit geht hoch. Doch was hoch geht, muss auch wieder herunter. Die Abwehrfähigkeit geht nach langen Stressphasen nicht einfach zurück auf den Normalzustand, sondern sie sinkt tiefer.
Der Grund für dieses Phänomen liegt in einer weiteren Eigenschaft der Glucocorticoide: Sie können weisse Blutkörperchen vernichten. Weisse Blutkörperchen spüren Fremdkörper, wie z.B. Bakterien, auf und versuchen, sie unschädlich zu machen. Die Wirkung der Glucocorticoide konzentiert sich zunächst auf Blutkörperchen, die schon angeschlagen und nicht mehr voll funktionsfähig sind. Nach einem Stressereignis wird so die Abwehrkraft wieder auf Vordermann gebracht, indem man die Bildung frischer, gesunder weisser Blutkörperchen fördert. So kann die Reaktion auf Stress die Abwehrkräfte langfristig verbessern. Grundsätzlich ist das ein guter Plan. Eine erfolgreiche Stressreaktion stärkt das Immunsystem.
Hält der Stresslevel aber längerfristig an, sind irgendwann keine beschädigten weissen Blutkörperchen mehr da. Dann wird der Mechanismus, der eigentlich die Funktion hatte, das Blutsystem gesund zu erhalten, sehr schädlich. Jetzt vernichten die Glucocorticoide gesunde weisse Blutkörperchen. Es werden mehr weisse Blutkörperchen vernichtet, als der gestresste Körper neu produzieren kann. Die Abwehrfähigkeit des gesamten Organismus sinkt.

Verdauung und Stress

Magengeschwüre

Ein bekanntes Stressphänomen entsteht aus der Eigenschaft aller Stresshormone, die Säurebildung des Magens zu reduzieren. Verdauung gehört in Stresssituationen nicht zu den wichtigsten Aufgaben, daher wird sie zurückgefahren. Es ist eine Massnahme, um Energie zu sparen.

Im Magen herrscht damit ein weniger ätzendes Gemisch an Verdauungssäften. Das sind eigentlich gute Nachrichten für die Magenschleimhäute: Sie müssen sonst sehr viel Energie aufwenden, um eine dicke Schutzschicht aus diversen chemischen Verbindungen zu bilden, die die Aufgabe haben, die Magenwand vor der Säure zu schützen. Sinkt die Säurekonzentration dauerhaft, kann auch die Magenwand den Schutzschild weniger stark auslegen. Das bedeutet eine grosse Einsparung beim Aufwand: Die Schutzschicht im Magen ist sehr teuer und energieaufwändig zu bauen. Eine weniger dicke Schutzschicht zu bauen, spart eine Menge Energie.
Glucocorticoide, aufgrund von dauerhaftem Stress ausgestossen, haben genau diesem Effekt. Sie können die Bildung von besonders ätzendem Magensaft hemmen und stattdessen einen weniger ätzenden Saft in Auftrag geben. Insgesamt spart das viel Energie ein.

Das Problem dabei tritt erst ein, wenn der Stresslevel sich wieder normalisiert. Ohne die Wirkung von Stresshormonen steigt der Säuregehalt des Magensaftes wieder an, während die Schutzschicht nun nicht mehr kräftig genug dafür ist. Durch die Sparmassnahmen reicht der Schutzmantel für die Magenwand nicht aus. Die Säure kann die Magenwand beschädigen. Das ist der erste Schritt zur Entwicklung eines Magengeschwürs. Nicht der Stress verursacht Magengeschwüre, sondern der Normalzustand. Damit das aber passieren kann, muss die Magenwand durch die Wirkung des Stresses entsprechend geschwächt worden sein.

Durchfall
Viele Menschen werden auch folgendes Phänomen kennen: Stress verursacht Durchfall. Der Zusammenhang, der dahintersteckt, ist einfach: Stresshormone reduzieren die Bildung von allen Verdauungssäften. Das ist im Darm, wie im Magen eine direkte und effektive Massnahme, um kurzfristig Energie zu sparen. Stress hat keine langfristigen Pläne. Stress reagiert auf Bedrohungen und damit macht es Sinn, die Energie zur Verdauung vorerst einzusparen. Gleichzeitig werden jedoch die Muskeln mit Energie geflutet. Alle Muskeln. Auch die des Darms.
Stress unterscheidet nicht zwischen Muskeln, die zur Flucht nötig sind und Muskeln, die gerade nicht nötig sind. Da wäre noch Potential für Einsparungen. Die Darmmuskulatur beginnt, aufgrund der vorhandenen Energie auf Hochtouren zu arbeiten. Die Verdauungssäfte haben nicht die Kapazität, so schnell zu arbeiten, sie sind in ihrer Wirksamkeit zurückgefahren. Der Brei im Darm wird mit hohem Druck weiterbefördert, ohne dass es zu einer nennenswerten Verdauungstätigkeit kommt. Aufgrund des Drucks im Darm bleibt nur ein Weg, den Druck zu reduzieren.

Schlaf und Stress

Viele Menschen leiden unter Schlafstörungen, wenn sie sich gestresst fühlen. Hier liegt eines der grössten Probleme des Phänomens Stress: Die Schlafstörung verstärkt das Stressempfinden massiv. Normalerweise sinkt der Anteil an Cortisol in unserem Blut stark ab, wenn wir schlafen. Die beruhigende Seite des vegetativen Nervensystems, der Parasympathikus, übernimmt dann die Kontrolle. Der Körper geht in einen Regenerationsmodus, es findet nur wenig Stoffwechsel statt. Die höchste Regenerierleistung von Körperzellen wird in den Phasen des langwelligen Schlafes erzielt. Das gilt für alle Zellen des Gehirns bis hinunter zu den Zellen des grossen Zehs.

Doch wenn der Anteil an Glucocorticoiden im Blut zu hoch ist, befindet sich unser Körper in einem Zustand der erhöhten motorischen Anspannung. Unsere Motorik bereitet sich immer noch darauf vor, vor einem Löwen davon zu laufen. Der uralte Mechanismus unserer Urahnen ist nun einfach nicht mehr hilfreich und doch lässt er sich nicht abschalten. Das ist kein guter Zustand um ruhig einschlafen zu können. Das Signal des Parasympathikus, das die Aktivität des Körpers herunterregeln möchte, kommt so nicht durch.

Wir liegen also wach. Die Regenerationsphasen fallen zumindest deutlich kürzer aus, vielleicht fallen sie sogar aus. Das sind schon schlechte Voraussetzungen für den nächsten Tag.

Beim Aufwachen kommt dann das nächste Problem: Die Biochemie des Körpers sieht vor, dass zum Aufwachen Glucocorticoide ins Blut gepumpt werden. Die sollen die Energie bereitstellen für den kommenden Tag. Wenn schon Glucocorticoide aus der schlafarmen Nacht im Blut sind, starten wir den Tag direkt mit einem erhöhten Stresslevel. Hier ist der Grundstein gelegt für eine Schlaufe aus Schlaflosigkeit und als stressig empfundenen Tagen, die garantiert zu nichts Gutem führen wird. Guter Schlaf ist sehr wichtig und leider sehr schwer zu bekommen.

Man kann die Situation beeinflussen, wenn man die Mechanismen kennt, nach denen Stress funktioniert. Man kann Situationen so gestalten, dass sie das Stressempfinden reduzieren werden. Es geht darum, aus der Tretmühle einer dauerhaften Stressbelastung herauszufinden.

Dazu schon bald mehr in einem weiteren Beitrag in diesem Blog.

Stress

Viele Menschen werden folgende Beobachtung bestätigen können: Wenn wir nachts im Bett liegen und am nächsten Tag eine wichtige Prüfung ansteht, können wir ganz schlecht schlafen. Es gehen uns tausend Gedanken durch den Kopf, das Aktivitätsniveau des ganzen Körpers ist viel zu hoch, um wirklich einschlafen zu können.

Das ist sehr unvernünftig von unserem Gehirn: Es wäre doch sehr viel besser, in einen tiefen Schlaf zu fallen und am nächsten Morgen gut ausgeruht zur Prüfung zu erscheinen. Stattdessen wählt das Gehirn den Weg, der dazu führt, dass wir am nächsten Morgen nicht sehr ausgeruht sein werden. Ausserdem werden wir zur Prüfung sehr aufgeregt sein. Das ist auch nicht förderlich für die Konzentration.

Was steckt dahinter? Was verursacht Stress?

Stressreaktionen gibt es in der Natur, um einer Gefahrensituation zu entkommen. Die Reaktionen des ganzen Organismus werden in erster Linie nur zu diesem Zweck ausgerichtet. Stress soll kurzfristige Höchstleistungen ermöglichen, um eine plötzlich auftretende Krise (z.B. einen Raubtierangriff) erfolgreich zu überleben.

Im Erleben eines Menschen gibt es einen erweiterten Horizont: Raubtierangriffe treten dabei in den Hintergrund, stattdessen beschäftigen sich Menschen mit allerlei Sorgen, wie z.B. Schulden, der eigenen Sterblichkeit, der Sicherung seines Arbeitsplatzes oder Prüfungssituationen. Mit ihren grossen Gehirnen können Menschen weit in die Zukunft denken und dabei auch Erinnerungen aus der Vergangenheit einbeziehen. Sie können sich Gedanken machen, mehrere Optionen einer Entscheidung überlegen, ihren Lebensweg (wenn sie Glück haben) selbst bestimmen. Sie können dabei auch Angst entwickeln. Angst ist der Schlüssel zum Phänomen Stress: Ohne Angst gäbe es viel seltener Stress.

Wahrscheinlich sind die Steinzeitmenschen, die vor vielen tausend Jahren ohne Angst durch das Leben gegangen sind, eines frühen Todes gestorben. Angst schützt uns davor, in gefährliche, lebensbedrohliche Situationen zu geraten. Unsere Vorfahren waren vermutlich in der Lage, Angst zu empfinden. Sonst hätten sie wahrscheinlich nicht lange genug gelebt, um Nachkommen zu zeugen.

Was passiert im Gehirn?

Die Amygdala – das „Angstzentrum“ – identifiziert eine Gefahr und gibt über eine direkte Leitung (den Sympathikus Nerv) ein Signal an die Nebennieren. Dort schüttet eine Drüse Adrenalin und Noradrenalin ins Blut aus. Der ganze Vorgang benötigt nicht einmal eine Sekunde.

Die Muskeln werden in der Folge darauf mit maximaler Energie versorgt, das Herz beginnt, schneller zu pumpen, der Blutdruck steigt, alle verfügbare Glucose wird ins Blut abgegeben, um die Muskeln zu versorgen. Die Energie konzentriert sich auf die Versorgung der überlebenswichtigen Teile des Körpers. Alle Langzeitprojekte werden nun eingestellt. Der Trieb zur Fortpflanzung, das Schmerzempfinden oder Reparaturarbeiten an beschädigten Körperzellen, alles wird vom Stresshormon herunter geregelt.

In diesem Moment verkleinert  sich die Auswahl an Optionen auf 3:

Fliehen, Kämpfen, Tot stellen

Die ganze Reaktion ist darauf ausgelegt, eine schnelle körperliche Antwort auf eine mögliche Gefahr zu ermöglichen.

Das Thema Stress ist noch vielschichtiger: Stellen Sie sich vor, ein Zebra nimmt einen Löwen wahr, der aber seinerseits das Zebra noch nicht entdeckt hat. Es wird genau die gleiche Stressreaktion ausgelöst, wie im ersten Beispiel. Adrenalin und Noradrenalin fluten den Körper. Das Verhalten des Zebras ist allerdings in diesem Fall völlig anders: Es wird sich ducken, möglichst leise sein und still warten, bis die Gefahr vorüber ist. Gleichzeitig sind alle Muskeln hoch gespannt und es wird alle verfügbare Glucose im Blutkreislauf bereitgestellt, um eine schnelle Flucht zu ermöglichen, wenn der Löwe das Zebra doch noch entdeckt. Stress kann also auch in einem Zustand des Stillstands vorhanden sein.

Stress kann andauern

Was passiert nun, wenn die Bedrohung langfristiger Art ist? Wenn wir Schulden haben und nicht wissen, wie bezahlen? Wenn wir im Alltag immer wieder in Situationen von Überforderung geraten, bis es uns belastet? Dann geraten wir in eine Situation, die nur entstehen konnte, weil die Menschheit im Laufe der Evolution ihr Grosshirn so rasant entwickelt hat. Es gibt bis heute keinen echten Plan im Gehirn für diese Fälle.

Sorgen aktivieren das Gefühl von Angst und das Gefühl von Angst wird die Amygdala die immer gleiche Stressreaktion durchführen lassen. Sie kennt keine andere Option.

Hält ein Stressereignis länger an, wird zur Unterstützung die Nebennierenrinde aktiviert: Dort wird das Hormon Cortisol (ein Glucocorticoid) ausgeschüttet. Jetzt ist der ganze Körper über viele Stunden in Stress versetzt.

Glucocorticoide haben einen umfassenden Einfluss auf den ganzen Körper. Ihre zentrale Aufgabe ist es, einen möglichst hohen Energielevel für eine möglichst schnelle, ausdauernde Flucht an die Muskeln bereitzustellen. Sie sind viel länger haltbar als Adrenalin. Während die Wirkung von Adrenalin nach einigen Minuten nachlässt, sind die Glucocorticoide stundenlang aktiv.

Inkohärenz oder Stress?

Inkohärenz ist der Zustand, in dem das Gehirn eine hohe Aktivität aufweist. Etwas muss bearbeitet werden und das Gehirn versucht, eine Lösung zu finden für das Problem, dass sich gerade gestellt hat. Das ist ein Zustand der Unruhe, der Stress ähnlich sein kann.

Der Unterschied zur Stressreaktion besteht darin, dass unter dem Einfluss der Stresshormone Teile des Grosshirns gehemmt werden, um Energie zu sparen. Die Leistungsfähigkeit des Gehirns ist nun stark eingeschränkt. Die Suche nach einer Lösung oder einer Option ist in dieser Situation sehr eingeschränkt.

Inkohärenz ist dazu ausgelegt, eine hohe Leistung des Gehirns zu aktivieren. Begrenzt wird die Leistung von eigenen Denkmustern, Glaubenssätzen etc. Die volle Leistungsfähigkeit ist im Zustand der Inkohärenz abrufbar. Stress begrenzt die Leistungsfähigkeit des Gehirns schon von vornherein. Unser Gehirn wird reduziert auf Überlebensreaktionen.

Um Entwicklung zu ermöglichen, ist Stress absolut kontraproduktiv. Inkohärenz dagegen begünstigt Entwicklung, weil sie dem Gehirn neue Einsichten und Erkenntnisse ermöglicht.