Der „Dopamin Tradeoff“ und die Digitalisierung

Was ist da eigentlich in den Kindergärten los?

Vor allem in sonderpädagogischen Kindergärten landen heute immer häufiger Kinder, die ein Phänomen zeigen, dass man im Alltag auch ausserhalb der Sonderschulen beobachten kann. Diese Kinder in der Sonderschule haben es in einer viel stärkeren Form: Es sind Kinder mit einer Autismusspektrumsstörung (im Folgenden ASS genannt), die starkes Suchtverhalten nach Smartphones oder Tablets zeigen. 

Es nimmt teilweise extreme Formen an, wenn diese Kinder auf das Smartphone verzichten sollen: Einige schreien oder lautieren. Fast alle haben einen enormen Bewegungsdrang, laufen herum oder rennen gar davon. Manche sind aggressiv gegen sich selbst oder gegen ihre Betreuungspersonen. Es sind echte Krisensituationen, die sich in manch einem Schul- oder Kindergartenzimmer abspielen.
Wie lässt sich das erklären? Was bedeutet das für Kinder ohne ASS?

Gestresste Kinder

Man kann verstehen, dass es für Eltern oft sehr schwierig ist, ein Kind mit ASS zu Hause zu haben: Die Kinder nehmen von sich aus selten bis gar nie Blickkontakt auf, sie zeigen oft kein soziales Lächeln, was die Eltern zutiefst verunsichert. Stattdessen zeigen sich die Kinder oft unruhig und reizbar. Das liegt vor allem daran, dass sie in ihrer Wahrnehmung regelrecht von Reizen überflutet werden. Was für uns „normal“ laut oder hell oder fest (taktile Wahrnehmung) ist, kann für Kinder mit ASS viel zu viel sein: Es ist ihnen zu laut, zu hell und der Druck auf der Haut gibt ihnen eine diffuse, wenig differenzierte Empfindung.

Darüber hinaus ist für Kinder mit ASS das soziale Zusammenleben sehr anstrengend, weil es für sie nicht klar ist, wie es funktioniert: Bei Messungen der Gehirnaktivität von Menschen mit ASS lässt sich beobachten, dass ihre Spiegelneurone kaum aktiv werden: Die Spiegelneuronen haben die Aufgabe, die Stellung der Muskulatur (z.B. die Gesichtsmuskeln) unseres Gegenübers zu beobachten und gedanklich zu analysieren: Wie fühlt sich diese Stellung der Gesichtsmuskeln für die Person an? Diese Analyse ist für Menschen mit ASS kaum möglich. Für sie ist das soziale Zusammenleben aufgrund der fehlenden Informationen wenig vorhersehbar. Fehlende Vorhersehbarkeit ist ein Faktor, der viel Stress verursacht.

Was sollen die Eltern tun? Es entsteht eine sehr belastende Situation in diesen Familien. Da ist es für viele Eltern ein Segen, wenn sie mit Hilfe des Smartphones für ein wenig Beruhigung sorgen können. Das funktioniert eigentlich immer. Es ist für die Kinder interessant, vorhersehbar und man muss nicht in eine anstrengende soziale Situation eintreten.

Es hilft, sich auf ein Spiel oder Video auf dem Tablet oder Smartphone zu fokussieren. Dabei geht es oft nicht um den Inhalt. Man kann oft beobachten, dass die Kinder ein Video nach dem anderen immer weiterwischen oder ständig das Spiel wechseln. Man kann auch sagen, sie sind auf der Jagd nach etwas. Dopamin ist das Hormon, dass im Gehirn das Jagdverhaltenbefeuert: Das nächste Video, das nächste Spiel könnte noch interessanteer sein. Das Gehirn verspricht sich einen Kick davon. Dopamin wird ausgeschüttet. Dopamin sorgt ausserdem dafür, dass Gefühle von Stress und der Angst wesentlich weniger bedrohlich wirken. Es ist einfach ein gutes Gefühl mit Dopamin im Blut. Je intensiver die Jagd desto besser fühlt es sich an.

Nimmt man den Dopamin Generator – z.B. ein Smartphone – weg, dann ist einerseits der Stress schnell wieder da und der Dopamin Level sinkt dazu schnell unter Normal Level. Das ist zu viel für die gestressten Gehirne dieser ASS Kinder. Es kommt zu heftigen emotionalen Ausbrüchen. Es ist einfach viel zu wenig Dopamin da, dafür viele Stresshormone.

wie die Schwellenwerte für Dopamin verändert werden

Was passiert , wenn immer wieder ein grosse Menge Dopamin ausgeschüttet wird? Zunächst fühlen wir uns sehr gut. Doch dann gibt es einen Gewöhnungseffekt: Die Neuronen, die Dopamin aufnehmen, werden sich an die grossen Mengen an Dopamin anpassen.

Es tritt schon bald ein Gewöhnungseffekt ein, der sich immer weiter fortsetzt. Der Schwellenwert (die Menge an Dopamin) den die Synapsen brauchen, um reagieren zu können, wird nicht mehr erreicht. Stattdessen warten die Sensoren auf eine höhere Dosis an Dopamin.

Kommt endlich eine genügend hohe Dosis an Dopamin, folgt das nächste Problem direkt nach. Die gleiche Menge an Dopamin, die gestern noch einen richtigen Flash ausgelöst hat, wirkt heute nicht mehr so toll. Wir sollten etwas mehr Dopamin haben. Vielleicht könnten wir die Dosis etwas nach oben korrigieren.

Der Effekt zieht noch weiteres Unheil nach sich: Dopamin hält nicht lange und der Anteil an Dopamin im Blut wird sinken. Der Dopamin Level wird tiefer, als er normalerweise wäre, sinken. Das Gehirn erkennt irgendwann den zu tiefen Anteil und korrigiert den Dopamin Level wieder auf «Normal». Der Vorgang der Normalisierung des Dopamin Levels nach einer starken Störung des Gleichgewichts braucht etwas Zeit. Gleichzeitig sind die Sensoren für Dopamin weniger empfindlich geworden, sie werden das Gehirn also weniger für die kleinen Freuden des Alltags belohnen.

All das fühlt sich wirklich schrecklich an. So fühlt sich eine selbstgemachte Depression an. Wenn es nun einen Weg gibt, den Dopamin Level schnell wieder ansteigen zu lassen, ist der sehr verlockend. Nicht das Hochgefühl ist das Problem, sondern der Zustand, wenn es vorüber ist.

Es ist dieser Zusammenhang zwischen Dopamin und Suchtverhalten, der digitale Medien zur Gefahr werden lässt. Dopamin befeuert das Lernen, die Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das gilt auch für Kinder ohne ASS: Wenn es eine viel stärkere und attraktivere Alternative gibt, sich Dopamin zu verschaffen, werden manche Kinder sie bevorzugen. Wenn Kinder die Wahl haben, raus zu gehen und zu spielen oder etwas Interessantes am iPad zu machen, wählen sehr viele das iPad.  Es bietet mehr Dopamin bei weniger Arbeit für das Gehirn. Das macht das Gehirn kohärent. Es fühlt sich gut an.

Der «Dopamin Tradeoff»

Da unser Gehirn auf digitale Inhalte häufig sehr motiviert anspringt, produziert es viel Dopamin, um sich darauf fokussieren zu können. Es ist motiviert – verspricht sich also einen Gewinn davon, sich mit dem Medium zu beschäftigen. Ein häufig hoher Level an Dopamin im Blut wird dazu führen, dass die Rezeptoren sich daran gewöhnen. Die Menge an Dopamin im Blut muss hoch sein, denn so sind es die Rezeptoren nach einiger Zeit gewöhnt. Wenn wir nun versuchen, zu lernen, auf die altmodische Art – in einer Schule vielleicht – erzeugt das möglicherweise nicht die erhoffte Menge an Dopamin.

Der «Dopamin Tradeoff» (link zum Blogbeitrag) beschreibt das Zusammenspiel zwischen den Rezeptoren für viel Dopamin und denen für wenig Dopamin. Wenn wenig Dopamin im Blut ist, kommt es nicht zu einer Fokussierung auf ein Thema oder eine Aktivität. Alle aufgenommenen Informationen werden mit der gleichen Priorität behandelt. Das bedeutet, mit wenig Dopamin im Blut ist man leicht ablenkbar. Bei leicht ablenkbaren Kindern und Jugendlichen kann es viele Ursachen geben. Eine, die man immer häufiger findet, ist hoher Medienkonsum.

Mit welchen Mengen an Dopamin kann sich ein Mensch den Tag über versorgen? Oft werden Sie bei leicht ablenkbaren Menschen Hinweise auf einen hohen Konsum von Spielen, Videos oder ähnlichem finden. Der Schwellenwert – also die Menge an Dopamin, die nötig ist, um sich fokussieren zu können, wird von solchem Verhalten hoch gesetzt. Das normale Leben ist oft weniger attraktiv als digitale Inhalte. Es wird weniger Dopamin ausgeschüttet, als notwendig wäre, um sich fokussieren zu können.

Das lässt sich in vielen Kindergärten gut beobachten: Es gibt eigentlich in jeder Gruppe Kinder, die nicht selbst ins Spielen kommen: Sie laufen herum, fangen mal dies an und mal das, alles scheint nicht interessant genug für sie. Aus der Perspektive des Gehirns kann man sagen, es gibt nicht genug Dopamin, um sich in etwas vertiefen zu können. Wenig Dopamin verursacht genau diesen „Scanningmodus“: Alles im Blick behalten, nichts verpassen.

Ist es ADHS? 
Es gibt Menschen, für welche die Reizschwellen für Dopamin bereits von Geburt an schwer zu erreichen sind. Sie sind in der Folge ebenfalls stark ablenkbar. Das sind Menschen mit ADHS. Es sind zwar ähnliche Effekte im Gehirn, aber Menschen mit ADHS hatten nie eine andere Wahl: Ihr Gehirn wurde so angelegt.

Was nun?

Um mit den Ablenkungen durch digitale Medien dennoch lernen zu können, braucht es «Dopamin Management», also einen kontrollierten Umgang damit. Es ist unrealistisch, Dopamin fördernde Medien einfach zu verbieten. Das Timing hingegen könnte interessante Optionen bieten: Wir können das Verlangen nach Dopamin mit dem Lernen verbinden.

Wenn Dopamin fördernde Geräte nichts zum Lernen beitragen können, sind sie hinderlich. Möglich wäre aber folgende Verabredung vor diesem Lernprozess: Wenn jemand sich fokussieren konnte, also Dopamin eingesetzt hat, um zu lernen, kann es eine Zeit geben, in der die Ablenkung zugelassen ist. Die Spiele und  Videos werden auch dann wieder den Dopamin Ausstoss stimulieren. Aber es war nun Arbeit im Vorfeld nötig, um es zu bekommen. Jetzt haben die Spiele die Funktion einer Belohnung. Als Verstärker mobilisiert das Gehirn nach solch einer Anstrengung daher das Hormon Serotonin. Ein Glückshormon. Es wird dafür sorgen, dass das Verhalten, dass zu dem Ausstoss von Dopamin und Serotonin geführt hat, wiederholt wird. Glückshormone sind ideal, um erfolgreiches Verhalten zu verstärken.

Langfristig kann so der Zustand, dass Dopamin auch tatsächlich zum Lernen aufgewendet wird, gefestigt werden. Vorfreude ist die schönste Freude und der stärkste Auslöser von Dopamin ist die Vorfreude. Wenn der präfrontale Kortex einen Sinn darin sieht, Energie in die Konzentration auf eine Arbeit zu investieren, wird er es eher tun, wenn er keine „Abkürzung“ in Form von Medienkonsum zur Verfügung hat.

Wir müssen die Geräte bewusst verwenden: Wir können sie beim Lernen verwenden, dann ist das Dopamin am richtigen Ort. Eine App kann Kompetenzen vermitteln und Fertigkeiten intensiv üben. Das gilt leider nicht für alle Lernapps, doch die Auswahl an Apps, die diese Kriterien erfüllen, wächst stetig. Eine Dokumentation, ein Spiel, kann vielfältig und motivierend Wissen vermitteln. Warum nicht auf digitale Inhalte zurückgreifen? Die Verknüpfung zwischen Motivation und Dopamin ist erfolgsversprechend.

Wenn bei der Nutzung digitaler Medien in schneller Folge das Video / das Spiel gewechselt wird und sichtbar wird, dass gar keine Auseinandersetzung mit dem Inhalt stattfindet, wenn also das Jagdverhalten nach immer neuen Kicks überhand nimmt, wird es schwierig: Die hohen Konzentration an Dopamin kann einen Gewöhnungseffekt auslösen, der sich nachhaltig auf alle Bereiche des Lebens auswirken wird. Die Ursache für starke Ablenkung bis hin zu aggressiven Reaktionen bei scheinbar nichtigen Anlässen liegt bei diesen Menschen wahrscheinlich in dem Ungleichgewicht der Hormone, die unsere emotionale Situation ausmachen: Zu viel Stresshormone, zu wenig Dopamin und damit auch zu wenig Serotonin (das Glückshormon), was emotional stablilsieren könnte.

Was heisst das für den Alltag?

  • Digitale Medien machen nicht automatisch süchtig. Sie haben das Potential dazu. Den Umgang damit muss man lernen.
  • Smartphones und Tablets als Verstärker des Arbeitsverhaltens funktioniert am ehesten dann, wenn vorher Dopamin ausgeschüttet wurde, um die Belohnung zu bekommen. Die Fokussierung bringt die Belohnung.
  • Wird die Dopamin Menge, die ein Mensch am Tag durch digitale Medien erzeugen kann zu hoch, treten langfristig Konzentrationsstörungen auf. «Dopamin Detox» wird in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema werden. Die Dopamin Rezeptoren müssen dann wieder auf normale Werte „eingestellt“ werden.

Der Dopamin Tradeoff

In Kürze: Der Dopamin Tradeoff beschreibt, wie das Gehirn zwischen Konzentration und Ablenkbarkeit umschaltet. Daraus kann man Rückschlüsse ziehen über das Lernen und den Umgang mit Konzentrationsstörungen.

Die Entdeckung des Dopamins im Jahre 1955 (eilige Leser können das überspringen)

Im Jahre 1955 experimentierten Wissenschaftler mit Ratten, denen sie Elektroden in das Gehirn einsetzten. Diese Elektroden sendeten schwache elektrische Ströme aus und stimulierten die Aktivität des Gehirns an der gewünschten Stelle auf Knopfdruck. James Olds, einem der Forscher, passierte beim Einsetzen der Elektrode bei einer Ratte ein kleiner Fehler: Er verfehlte die Gehirnregion, die eigentlich für die Untersuchung vorgesehen war. Er traf stattdessen das Septum, eine Region des limbischen Systems.
Was dann folgte, war erstaunlich: Um einen Stromimpuls auf die Elektrode zu erhalten, musste die Ratte Aufgaben erlernen. Die Ratte erlernte alle Aufgaben in Rekordzeit. Sie schien regelrecht süchtig nach den Stromstössen in das Septum zu sein. Schliesslich kam ein Wissenschaftler aus dem Team auf die Idee, der Ratte einen Taster zu geben, mit dem sie sich selber Stromstösse in das Septum geben konnte. Was dann geschah, war noch viel erstaunlicher: Die Ratte drückte wild auf den Taster, schien gar nicht genug bekommen zu können von den Stromstössen. Sie schien keine Müdigkeit mehr zu kennen und keinen Hunger. Erst als man die Stromzufuhr abschaltete, konnte die Ratte schlafen. (Olds, 1955).

Der Dopamin Pegel steigt stetig an, wenn oft genug auf den Taster gedrückt wird

Was war das ursprüngliche Konzept des Dopamins im Verlauf der Evolution? Im Beitrag über Paul Mc Leans Ideen (hier geht es zum Blogbeitrag) konnte sich ein Steinzeitmensch besonders gut auf die Jagd konzentrieren, wenn sein Gehirn Dopamin ins Blut ausgeschüttet hatte. Der Ausstoss von Dopamin erfolgt im Gehirn bevor ein Verhalten gezeigt wird. Dopamin befeuert Verhalten (Sapolsky, 2004, S. 357).

Jetzt kommt eine Komponente dazu, die überraschen wird: Wenn eine Versuchsperson eine Aufgabe erhält und dafür eine Belohnung in Aussicht gestellt bekommt, steigt der Dopamin Level im Blut an. Bekommt diese Testperson aber eine Aufgabe gestellt und es besteht nur die Möglichkeit, dass es eine interessante Belohnung gibt, steigt der Dopamin Level im Blut noch höher. Den höchsten Stand erreicht der Dopamin Level zu der Zeit, in der möglicherweise die Belohnung kommen könnte. Auch wenn sich die Testperson nicht sicher sein kann, dass es auch tatsächlich eine Belohnung geben wird (Sapolsky, 2004, Buchbeschreibung auf Amazon). Damit lässt sich die Eigenschaft des Dopamins schön illustrieren: Dopamin steigert nicht unsere Konzentration, weil wir das wollen. Dopamin steigert unsere Konzentration, weil wir der Meinung sind, dass am Ende für diese Mühe eine Belohnung auf uns wartet.

Die Eigenschaft des Dopamins ist, uns Appetit zu machen. Das Gefühl des Appetits ist stärker als das Sättigungsgefühl nach dem Essen. Dopamin befeuert unsere Konzentration, wenn wir die Vorstellung haben, es gäbe etwas zu gewinnen. In der Folge dessen ist also eines wichtig: Wenn wir lernen sollen, müssen wir wissen wofür. Das macht den Appetit – es definiert den zu erwartenden Gewinn.

Ein Beispiel, dass viele kennen ist die Vorbereitung auf eine Führerscheinprüfung: Niemand wird behaupten, dass die Fragen und die Verkehrsregeln allzu interessant und motivierend sind. Trotzdem lernen jeden Tag viele Menschen eifrig genau diese Regeln und bereiten sich minutiös auf die Prüfung vor. Die Belohnung ist es, die das ermöglicht. Ein Auto fahren zu dürfen.

Wenn Dopamin das Lernen beflügelt, warum gibt es keine Dopamin Bonbons oder Dopamin Energiedrinks? Die Antwort lautet: Die Zusammenhänge im Gehirn rund um das Dopamin sind dafür viel zu komplex. Eine Ahnung von der Komplexität gibt der «Dopamin Tradeoff» (nach Durstewitz/ Seamans, 2002 / link zum Artikel):

Es gibt nach aktuellem Stand der Forschung 5 verschiedene Rezeptoren für Dopamin. Sie finden sich in Ansammlungen der Zellkörpern von Nervenzellen, die bei Kontakt mit Dopamin ganze Kaskaden von Reaktionen unseres Nervensystems auslösen werden. Die wichtigste Ansammlung an Dopamin Rezeptoren heisst Nucleus Accumbens, hier konzentrieren sich viele dieser Rezeptoren (Güntürkün, 2019, S.67).  Der «Dopamin Tradeoff» beschreibt nur das Zusammenspiel zwischen den Rezeptoren «D1» und «D2».

Die Rezeptoren «D1» reagieren auf eine bestimmte Menge an Dopamin Molekülen im Blut. Ist die Konzentration erreicht, sprechen die Rezeptoren an und lösen über das Zusammenspiel zahlreicher Synapsen eine hohe Fokussierung des Gehirns aus. Im Arbeitsspeicher des präfrontalen Kortex wird alles, was zu dem Thema verfügbar ist, geladen. Es findet eine Fokussierung auf das Signal statt, das Rauschen wird unterdrückt. Als Rauschen wird die übliche Grundaktivität des Gehirns und der Wahrnehmung bezeichnet. Als Signal werden Gedanken bezeichnet, die im Bewusstsein deutlich wahrgenommen werden können.

Rezeptoren des Typs «D1» wirken also wie ein Verstärker einzelner Gedanken.

Die Rezeptoren «D2» reagieren auf eine geringere Menge an Dopamin Molekülen. Diese Rezeptoren haben eine gegensätzliche Wirkung: Die Konzentration auf Details findet kaum statt, es gibt wenig Unterschied zwischen Signal und Rauschen. Es ist kein Zustand der Aktivität, aber ein Zustand der Bereitschaft. In diesem Modus ist die Aufmerksamkeit frei, sich auf etwas Neues zu fokussieren, wenn es nötig sein sollte. Bis dahin läuft das Gehirn im Energiesparmodus.

Rezeptoren des Typs «D2» sorgen dafür, dass die Aufmerksamkeit nirgends fokussiert ist.

Dopamin hält nicht lange, es gibt immer nach dem Ausstoss des Dopamins eine stetige Abnahme der Konzentration im Blut. Die Abnahme kann nur durch einen weiteren Ausstoss an Dopamin unterbrochen werden. Kommt dieser Ausstoss nicht, werden die «D2» Rezeptoren unweigerlich aktiv. Es ist nur eine Frage der Zeit.

In einem Arbeitsspeicher, der mit einem bunten Allerlei an Informationen arbeitet, wird es andere Denkprozesse geben, wie in einem Arbeitsspeicher, der sich auf etwas konzentriert. Daher ist es eine gute Idee, nach Wegen zu suchen, die den Ausstoss von Dopamin im entscheidenden Moment anregen. Das würde das Lernen wesentlich erleichtern. Man kann anhand der Eigenschaften des Dopamins auch ableiten, dass die hohe Konzentration nur über eine begrenzte Zeit aufrechterhalten werden kann. Danach flacht die Aufmerksamkeit unwillkürlich ab.

Dopamin und Lernen

Es ist naheliegend, dass Dopamin nicht lange haltbar ist. Es ist daher hilfreich, Dopamin einzusetzen, wenn etwas wirklich verstanden werden soll, wenn zum Beispiel etwas Neues in die vorhandene Struktur im Gedächtnis integriert werden muss, etc. Wenn der Pegel des Dopamins abflacht, ist es eher sinnvoll, Dinge zu tun, die durch häufige Wiederholung im Gehirn vernetzt werden.

Heute ist es eigentlich normal, dass man zu Beginn einer Unterrichtslektion, Fortbildung etc. einen Überblick gibt, was es zu lernen gibt und was das Ziel der Veranstaltung ist. Das kommt den Bedürfnissen des präfrontalen Kortex sehr entgegen. Er braucht eine Struktur, eine Vorstellung, was das für einen Sinn ergeben soll, was der zu erwartende Gewinn sein könnte. Jetzt kann er sich entscheiden, das es sich lohnt, das Thema in den Vordergrund zu rücken.

Aus der Kenntnis über die Wirkung des Dopamins ist es sinnvoll, schon bald mit den wesentlichen Dingen anzufangen, die mit der Veranstaltung vermittelt werden sollen. Der Dopamin Level sollte nach einer kurzen, einleitenden «Einheizphase» am höchsten sein. Es ist zu erwarten, dass der Dopamin Level wieder sinken wird, je weiter die Zeit fortschreitet. Das ist die Zeit, in der eine Festigungs- oder Vertiefungsphase gut passen könnte.

Auch heute noch kann man beobachten, dass versucht wird, über lange Zeitspannen komplexe Inhalte in einem langen, nicht enden wollenden Vortrag zu vermitteln. Die präfrontalen Kortexe der SchülerInnen oder StudentInnen müssen enorme Kräfte haben. Oder sie gehen während des Vortrags ab und zu in einen Energiesparmodus.  

Was man ebenfalls immer wieder sieht, sind Vorträge, die mit langen Begriffsdefinitionen beginnen. Das ist zwar verständlich aus der Sicht eines Referenten. Man will es ja richtig machen, nichts auslassen, was nachher noch von Bedeutung sein könnte. Die Frage ist dabei, wie das aus der Sicht des präfrontalen Kortex aussieht: Sieht er die Notwendigkeit, noch weiter Dopamin auszuschütten, um dem Vortrag aufmerksam zu folgen? Es wäre auch folgende Variante denkbar: Wenn die Zuhörer noch wach und aufmerksam sind und der Dopamin Level hoch ist, werden die Begrifflichkeiten definiert. Das wird als wenig motivierend empfunden, der Dopamin Spiegel sinkt ab. Wenn die eigentlichen Zusammenhänge erörtert werden, hört kaum noch jemand zu.

Der Zusammenhang ist wichtiger als die Definition, das Gehirn muss einen Zusammenhang haben, um zu wissen, wo das Gehörte hin gespeichert werden muss. Daher möchte unser präfrontaler Kortex erst den Zusammenhang, dann beschäftigt er sich eher mit den Details, wie z.B. Definitionen.

Leistung ist im Gehirn nicht unendlich verfügbar. Es muss einen Grund geben, wenn Leistung mobilisiert wird. Über die Bereitstellung von Ressourcen entscheidet im Gehirn vor allem eine Instanz: Der Zugang zum Dopamin liegt im präfrontalen Kortex.

Was heisst das für den Alltag?

  • Dopamin ist der Schlüssel zur maximalen Gehirnaktivität. Die maximal mögliche Anzahl an neuen Synapsen wird beim Lernen mit Hilfe von Dopamin erreicht.
  • Auf eine Phase von hoher Dopamin Konzentration folgt eine Phase von niedriger Dopamin Konzentration. Lernvorgänge müssen unterteilt sein in «Sprints», bei denen viel Gehirnaktivität nötig ist und ruhigen Phasen, bei denen mit wenig Gehirnaktivität gearbeitet werden kann.
  • Beim «Sprint» können neue Kompetenzen erworben werden. In Ruhephasen können sie eher angewendet oder die Anwendung geübt werden.
  • Die Erwartung eines Gewinns setzt Dopamin frei. Der Gewinn selbst setzt kein Dopamin mehr frei. Der Gewinn dient nur dazu, das gezeigte Verhalten zu bestätigen für ein nächstes Mal.
  • Erfolgreiches Lernen macht ein zufriedenes Gefühl. Das Gehirn wird es immer wieder tun wollen. Manche Menschen wissen nicht, wie sie erfolgreich lernen können. Sie erleben das zufriedene Gefühl nicht, stattdessen erleben sie Frustration. Lernen wird so zu einer belastenden Erfahrung.

Februar 2025 Andreas Illenberger