Stress

Viele Menschen werden folgende Beobachtung bestätigen können: Wenn wir nachts im Bett liegen und am nächsten Tag eine wichtige Prüfung ansteht, können wir ganz schlecht schlafen. Es gehen uns tausend Gedanken durch den Kopf, das Aktivitätsniveau des ganzen Körpers ist viel zu hoch, um wirklich einschlafen zu können.

Das ist sehr unvernünftig von unserem Gehirn: Es wäre doch sehr viel besser, in einen tiefen Schlaf zu fallen und am nächsten Morgen gut ausgeruht zur Prüfung zu erscheinen. Stattdessen wählt das Gehirn den Weg, der dazu führt, dass wir am nächsten Morgen nicht sehr ausgeruht sein werden. Ausserdem werden wir zur Prüfung sehr aufgeregt sein. Das ist auch nicht förderlich für die Konzentration.

Was steckt dahinter? Was verursacht Stress?

Stressreaktionen gibt es in der Natur, um einer Gefahrensituation zu entkommen. Die Reaktionen des ganzen Organismus werden in erster Linie nur zu diesem Zweck ausgerichtet. Stress soll kurzfristige Höchstleistungen ermöglichen, um eine plötzlich auftretende Krise (z.B. einen Raubtierangriff) erfolgreich zu überleben.

Im Erleben eines Menschen gibt es einen erweiterten Horizont: Raubtierangriffe treten dabei in den Hintergrund, stattdessen beschäftigen sich Menschen mit allerlei Sorgen, wie z.B. Schulden, der eigenen Sterblichkeit, der Sicherung seines Arbeitsplatzes oder Prüfungssituationen. Mit ihren grossen Gehirnen können Menschen weit in die Zukunft denken und dabei auch Erinnerungen aus der Vergangenheit einbeziehen. Sie können sich Gedanken machen, mehrere Optionen einer Entscheidung überlegen, ihren Lebensweg (wenn sie Glück haben) selbst bestimmen. Sie können dabei auch Angst entwickeln. Angst ist der Schlüssel zum Phänomen Stress: Ohne Angst gäbe es viel seltener Stress.

Wahrscheinlich sind die Steinzeitmenschen, die vor vielen tausend Jahren ohne Angst durch das Leben gegangen sind, eines frühen Todes gestorben. Angst schützt uns davor, in gefährliche, lebensbedrohliche Situationen zu geraten. Unsere Vorfahren waren vermutlich in der Lage, Angst zu empfinden. Sonst hätten sie wahrscheinlich nicht lange genug gelebt, um Nachkommen zu zeugen.

Was passiert im Gehirn?

Die Amygdala – das „Angstzentrum“ – identifiziert eine Gefahr und gibt über eine direkte Leitung (den Sympathikus Nerv) ein Signal an die Nebennieren. Dort schüttet eine Drüse Adrenalin und Noradrenalin ins Blut aus. Der ganze Vorgang benötigt nicht einmal eine Sekunde.

Die Muskeln werden in der Folge darauf mit maximaler Energie versorgt, das Herz beginnt, schneller zu pumpen, der Blutdruck steigt, alle verfügbare Glucose wird ins Blut abgegeben, um die Muskeln zu versorgen. Die Energie konzentriert sich auf die Versorgung der überlebenswichtigen Teile des Körpers. Alle Langzeitprojekte werden nun eingestellt. Der Trieb zur Fortpflanzung, das Schmerzempfinden oder Reparaturarbeiten an beschädigten Körperzellen, alles wird vom Stresshormon herunter geregelt.

In diesem Moment verkleinert  sich die Auswahl an Optionen auf 3:

Fliehen, Kämpfen, Tot stellen

Die ganze Reaktion ist darauf ausgelegt, eine schnelle körperliche Antwort auf eine mögliche Gefahr zu ermöglichen.

Das Thema Stress ist noch vielschichtiger: Stellen Sie sich vor, ein Zebra nimmt einen Löwen wahr, der aber seinerseits das Zebra noch nicht entdeckt hat. Es wird genau die gleiche Stressreaktion ausgelöst, wie im ersten Beispiel. Adrenalin und Noradrenalin fluten den Körper. Das Verhalten des Zebras ist allerdings in diesem Fall völlig anders: Es wird sich ducken, möglichst leise sein und still warten, bis die Gefahr vorüber ist. Gleichzeitig sind alle Muskeln hoch gespannt und es wird alle verfügbare Glucose im Blutkreislauf bereitgestellt, um eine schnelle Flucht zu ermöglichen, wenn der Löwe das Zebra doch noch entdeckt. Stress kann also auch in einem Zustand des Stillstands vorhanden sein.

Stress kann andauern

Was passiert nun, wenn die Bedrohung langfristiger Art ist? Wenn wir Schulden haben und nicht wissen, wie bezahlen? Wenn wir im Alltag immer wieder in Situationen von Überforderung geraten, bis es uns belastet? Dann geraten wir in eine Situation, die nur entstehen konnte, weil die Menschheit im Laufe der Evolution ihr Grosshirn so rasant entwickelt hat. Es gibt bis heute keinen echten Plan im Gehirn für diese Fälle.

Sorgen aktivieren das Gefühl von Angst und das Gefühl von Angst wird die Amygdala die immer gleiche Stressreaktion durchführen lassen. Sie kennt keine andere Option.

Hält ein Stressereignis länger an, wird zur Unterstützung die Nebennierenrinde aktiviert: Dort wird das Hormon Cortisol (ein Glucocorticoid) ausgeschüttet. Jetzt ist der ganze Körper über viele Stunden in Stress versetzt.

Glucocorticoide haben einen umfassenden Einfluss auf den ganzen Körper. Ihre zentrale Aufgabe ist es, einen möglichst hohen Energielevel für eine möglichst schnelle, ausdauernde Flucht an die Muskeln bereitzustellen. Sie sind viel länger haltbar als Adrenalin. Während die Wirkung von Adrenalin nach einigen Minuten nachlässt, sind die Glucocorticoide stundenlang aktiv.

Inkohärenz oder Stress?

Inkohärenz ist der Zustand, in dem das Gehirn eine hohe Aktivität aufweist. Etwas muss bearbeitet werden und das Gehirn versucht, eine Lösung zu finden für das Problem, dass sich gerade gestellt hat. Das ist ein Zustand der Unruhe, der Stress ähnlich sein kann.

Der Unterschied zur Stressreaktion besteht darin, dass unter dem Einfluss der Stresshormone Teile des Grosshirns gehemmt werden, um Energie zu sparen. Die Leistungsfähigkeit des Gehirns ist nun stark eingeschränkt. Die Suche nach einer Lösung oder einer Option ist in dieser Situation sehr eingeschränkt.

Inkohärenz ist dazu ausgelegt, eine hohe Leistung des Gehirns zu aktivieren. Begrenzt wird die Leistung von eigenen Denkmustern, Glaubenssätzen etc. Die volle Leistungsfähigkeit ist im Zustand der Inkohärenz abrufbar. Stress begrenzt die Leistungsfähigkeit des Gehirns schon von vornherein. Unser Gehirn wird reduziert auf Überlebensreaktionen.

Um Entwicklung zu ermöglichen, ist Stress absolut kontraproduktiv. Inkohärenz dagegen begünstigt Entwicklung, weil sie dem Gehirn neue Einsichten und Erkenntnisse ermöglicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert