Die Geschichte von Phineas Gage

der präfrontale Kortex, Teil 1

Im Zuge meiner Recherche über die Zusammenhänge des menschlichen Gehirns bin ich auf diese eindrückliche Geschichte gestossen, die ich hier teilen möchte. Antonio Damasio, ein bekannter amerikanischer Hirnforscher hat sie veröffentlicht:

Im Sommer 1848 war Phineas Gage damit beschäftigt, Eisenbahngleise für eine amerikanische Eisenbahngesellschaft zu verlegen. Er war 25 Jahre alt und hatte es schon zum Vorarbeiter eines grossen Bautrupps gebracht. Er wurde von den Direktoren der Eisenbahngesellschaft als tüchtiger und fähiger Mann beschrieben. Er erledigte seine Arbeit überaus gewissenhaft und verantwortungsvoll. 
Bei der Vorbereitung einer Sprengladung kam es eines Tages aber zu einem schrecklichen Unglück: Die Sprengladungen wurden mit Hilfe einer Eisenstange in vorgebohrte Löcher geschoben. Ein Funke zündete die Sprengladung viel zu früh und die Eisenstange schoss aus dem Bohrloch heraus. Sie drang in Phineas Gages´ Wange ein und trat aus seinem Schädel wieder aus. 30 Meter weiter fiel sie zu Boden. Blut und ein Teil von Phineas Gage’s präfrontalem Kortex klebten daran.
Zunächst sah es aus wie ein Wunder, denn Gage überlebte das schreckliche Unglück. In seinem Schädel klaffte ein grosses Loch und Teile seines Hirns fehlten, aber er erholte sich rasch (hier gibt es Fotos von Phinaes' Verletzungen auf Wikipedia).
Nach der akuten Phase seiner Hirnverletzung wurde aber schnell klar, dass etwas nicht stimmte: Ein Arzt notierte, Gage sei «launisch, respektlos, flucht manchmal auf abscheulichste Weise, was früher nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte, erweist seinen Mitmenschen wenig Achtung, reagiert ungeduldig auf Einschränkungen und Ratschläge, wenn sie seinen Wünschen zuwider laufen, ist gelegentlich entsetzlich halsstarrig und doch launenhaft und wankelmütig, macht ständig Zukunftspläne, die er, kaum gefasst, schon wieder fallenlässt…» (Damasio, 2010, S.30).
Seine Anstellung bei der Eisenbahn verlor er schon bald, weil er nicht mehr in der Lage war, seine Führungsaufgabe auszuführen. Sein ungezügeltes Temperament und seine Impulsivität machen es ihm schwer, eine Arbeit längerfristig auszuführen. Irgendwann landete er bei einem Zirkus, der kuriose Menschen zur Schau stellte. Es war ein stetiger Abstieg. Der Mann, der in gesundem Zustand eine glänzende Zukunft vor sich hatte, wurde über die Jahre zu einem krakeelenden Trinker, so wird es zumindest in der Überlieferung dargestellt. Schliesslich starb er, 13 Jahre nach dem Unglück, an starken epileptischen Anfällen – vermutlich eine Folge seiner Verletzung.

Die Geschichte von Phineas Gage zeigt , welche herausragende Stellung der präfrontale Kortex in der Steuerung des Verhaltens haben muss. Es gibt noch andere Beispiele von Menschen, die im Bereich des präfrontalen Kortex einen Tumor hatten und daraufhin gleiche oder zumindest sehr ähnliche Symptome zeigten.

Aus der Evolution des Menschen lässt sich ableiten, dass der präfrontale Kortex zuerst die Funktion hatte, das Sozialverhalten der Menschen in der Gruppe untereinander zu steuern. Viele Errungenschaften der menschlichen Kultur setzten voraus, dass jemand sich angemessen verhielt und die Regeln und Gebräuche in einer Gemeinschaft einhalten konnte. (Sapolsky, 2011/2, min 23.00, f.)

Im präfrontalen Kortex laufen die Informationen über die Situation, für die ein angemessenes Verhalten benötigt wird, zusammen. Dabei wird er stark vom limbischen System beeinflusst, fast jede Situation ist auf die eine oder andere Art emotional beladen. Es besteht eine sehr hohe Dichte an Verknüpfungen von allen Bereichen des limbischen Systems zum präfrontalen Kortex, die direkten Einfluss auf das Verhalten haben.          

In den folgenden Artikeln werde ich die wichtige Arbeit des präfrontalen Kortex weiter beleuchten.

Dezember 2024 Andreas Illenberger

weiterführende Artikel:

Spektrum der Wissenschaft: Phineas Gage

Neuropsychologischer Ratgeber: Was ist Persönlichkeit? Das Fallbeispiel Phineas Gage

GEO: Eine Stange durchschlug seinen Schädel: Warum der Fall von Phineas Gage Medizingeschichte schrieb

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